Als ich noch ein Kind war, erzählte mir meine Mutter eines Abends eine Geschichte über einen kleinen, knorrigen und vom Wind gebeutelten Baum. Dieser kleine Baum stand ganz einsam an einem Wackelsteinvorsprung, und trotz seiner Anstrengungen wurde er nicht groß. Traurig und neidvoll schaute er zu dem nahegelegenen Wald. Dort thronten die hohen Tannen und Fichten, sowie die verspielten Föhren. Der kleine Baum beneidete seine Kollegen um die Gesellschaft und um den gemeinsamen Kampf gegen den gnadenlosen Wind an einem stürmischen Herbsttag. Doch eines Tages stellten Forstarbeiter neben dem kleinen, knorrigen Baum eine Bank auf. Und von da an kamen immer mehr Besucher zu dem kleinen Baum, machten Rast und bewunderten den kleinen Baum am Felsvorsprung des Wackelsteins. Irgendwann raunte ihm eine alte Tanne zu: „Siehst du, durch unseren Wald gehen die Menschen nur hindurch. Doch bei dir, mein kleiner knorriger Freund, verweilen sie und sind glücklich!“ Da erst erkannte der kleine Baum, dass wahre Erfüllung nicht von Äußerlichkeiten herrührt.
An diese Geschichte musste ich denken, als ich sonntags durch den Horner Wald fuhr und mich die Tannen und Fichten mit strahlendem Weiß begrüßten. Sie haben sich für mich hübsch gemacht, war mein erster Gedanke und ein Lächeln glitt über mein Gesicht. Väterchen Frost hat wahrlich ganze Arbeit geleistet und die Luftfeuchtigkeit der Nacht in Eiskristalle verwandelt. Die winzigen Kristalle überzogen den Horner Wald und verwandelten die Landschaft in einen Traum aus Eis. Ich drosselte das Tempo meines Wagens, um meinen Augen etwas mehr Zeit für dieses Naturphänomen zu schenken und den Moment der Glückseligkeit zu genießen.
Die Müdigkeit, die morgens noch in meinen Knochen steckte, war urplötzlich verschwunden und ich freute mich einmal mehr auf das Mischwald-Abenteuer, das mich die nächsten Stunden erwarten würde.
Ich nenne es Mischwald-Abenteuer, weil wir rund 1000 Setzlinge an diesem wunderschönen letzten Sonntag vor dem 1. Advent auspflanzen werden. Von der Esskastanie über die Sonnenlinde bis hin zum Mammutbaum und den alt bekannten Tannen und Fichten soll alles dabei sein. Verrückt, ja vielleicht, aber nicht unsinnig, denn aus einer kleinen feinen Idee „ein Baum pro verkaufter Brille“ und „ein Baum pro verkauftem Buch „hinreißend zerrissen“ entsteht neues Leben.
Die heimischen Wälder mit ihrem Fichtenbestand sind in den letzten Jahren durch die Borkenkäfer-Katastrophe gewaltig unter Druck geraten und viele Stellen sind mittlerweile kahl und kaum wieder zu erkennen. Daher wollen wir Mutter Natur etwas unter die Arme greifen und einen kleinen Beitrag zum Thema Klimaschutz leisten.
Als ich mit dem Auto um die nächste Kurve biege, sehe ich sie bereits vor mir, die Sumpfwiese und auf ihr diese sechs wunderbaren Menschen mit ihren Kindern und einem Hund. Obwohl ich noch einige 100 Meter entfernt bin, sehe ich geschäftiges Treiben und Frauen und Männer mit roten Backen eifrig Löcher in einen lehmigen Boden schlagen. Kleine Kinder laufen zum roten Traktor, holen diese ur-kleinen neuen Setzlinge für die Erwachsenen und strahlen, wenn sie diese in den Boden stecken dürfen. Ich stoppe mein Auto, ziehe mir die Gummistiefel an, nehme meinen Spaten auf die Schulter und marschiere los. Meine Freundin winkt mir bereits von weitem zu und plötzlich muss ich wieder an den kleinen, knorrigen Baum denken und wie gerne er Teil der Gemeinschaft gewesen wäre. Eine Gemeinschaft, die hier entsteht.