Bläschen auf der Zunge – Tag 35 der Corona Krise

Seit mehr als 4 Wochen spiele ich jetzt Arzt. Spiele ich mit mir und meiner Zunge. Also spielen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Präziser wäre, ich interviewte meine Zunge und stelle ihr folgende Fragen: Geht es dir besser? Sind die Bläschen  weniger? Sind sie endlich verschwunden? Brennen sie noch und falls ja, wo genau? Schmeckst du das Essen noch? Oder baden deine Geschmacksknospen bereits in einem Beet aus Pilzen? Kannst du ausschließen, dass Covid-19 vom Rachen zu dir rauf gewandert ist?

Nein, ich wurde nicht vom Gesundheitsminister angerufen und in eine Testreihe für antivirale Covid-19 Medikation mit dem Slogan „Helfen Sie sich – helfen Sie uns“ gesteckt. Ich wurde auch nicht mit einer Petrischale verwechselt, obwohl das Essen in den letzten Wochen seine Spuren hinterlässt und die Rundungen sich in Richtung Petrischale entwickelt haben. Natürlich nur an jenen Stellen, wo man sie nicht braucht, dafür aber sieht. Gedanken wie „Danke Du Germ, Du warst mein Retter in der Not, und Dank  „Vollmondgesicht“ bleibst Du mir auch noch länger in Erinnerung“, schießen in mir hoch.

Aber ich schweife ab.  Eigentlich wollte ich Ihnen ja von mir und meiner Zunge erzählen und dem gescheiterten Versuch, den Bläschen auf der Zunge endlich Herr zu werden. Zu Beginn hatte ich das Gefühl, es brennt. Es brennt auf der Zunge und der Zungenbrand weitet sich aus. Er wird zum lodernden Feuer. Wobei ich dieses Feuer weder durch zu heißen Tee, noch durch Haltlosigkeit bei zu heißem Essen entfacht habe. In mein Tagebuch schrieb ich am12. Tag: „Geschmack und Geruchssinn sind vorhanden, also kein Verdacht auf Covid-19.“ Plötzlich fühlte ich mich wie Gott in Weiß und begann Schritt für Schritt mit meiner Selbsttherapie. Zu Beginn noch vorsichtig, dann halt- und zügellos. Ich stürmte fast dreimal wöchentlich verschiedene Apotheken und bekam bereitwillig Unterstützung bei meinem Selbstversuch. Salben, Cremen, Gurgellösungen, selbst traditionell indische Medizin, wanderten über die Tara in meine Tasche. Nur bei dem Versuch mir traditionell chinesische Medizin zu verkaufen, lehnte ich dankend ab. Ich wollte keine wilden Tiere in mir wecken und die Lust auf Fledermäuse ist mir in den letzten Wochen vergangen. Zu Hause angekommen, packte ich die Schätze vorsichtig aus und begann sie sorgfältig aufzutragen. Der Reihe nach, jedoch ohne auf die Dosis Rücksicht zu nehmen. Wenn der Beipacktext von erbsengroßen Portionen sprach, dachte ich an Kirschen. Und wenn der Beipacktext von zweimal täglich sprach, erhöhte ich auf dreimal. Leider muss ich dazu sagen, dass ich selbst zu „überschießendem“ Temperament neige, welches ich bei meiner Selbstmedikation leider zu 100 % auslebte. Doch die Dosis macht das Gift. Mein Brand auf der Zunge wurde nicht gelöscht und die Glutnester neuerlich entfacht. Die Bläschen wurden wieder größer und je nach Medikation hatte meine Zunge einen gelben, dann wieder einen braunen und am Ende einen dicken weißen Belag mit roten Pusteln.

Also gestand ich mir nach rund 4 Wochen Selbstmedikation ein, endgültig gescheitert zu sein. Ein Arzt musste her, aber wo finden in Zeiten von Covid-19? Und welcher Arzt ist eigentlich der Richtige, falls meine Diagnose „Bläschen auf der Zunge“ der Wahrheit entspricht? Sollte ich einen niedergelassenen Arzt konsultieren, einen HNO oder doch einen Dermatologen?

Dr. Google konnte mir diesbezüglich ebenfalls nicht weiterhelfen, also setzte ich auf das altbewährte Hausmittel und befragte meinen Hausverstand.

Ist es klug, jetzt in ein Spital zu laufen? Nein, ist es nicht, schon gar nicht mit Bläschen auf der Zunge, selbst wenn die Diagnose lautet: kein Covid-19 Patient. Ist es klug, einen Arzt im niedergelassenen Bereich zu finden? Ja, wahrscheinlich schon. Allerdings hatte mein Hausarzt zu Beginn der Epidemie aufgrund der zu erwartenden starken Ausbreitung von Covid-19 vorübergehend seine Pforten geschlossen.

Also kontaktierte ich einen Dermatologen, der mich nach rund 8 Stunden zurückrief und mir einen Ordinationstermin, nur zwei Tage später, gab. Ich beschloss für mich, ein Notfall zu sein und mich mit einem Termin in zwei Tagen nicht zufrieden zu geben. Also kontaktierte ich den nächsten Dermatologen. Seine Assistentin rief mich nach 9 Stunden, kurz vor 21:00 Uhr mit folgenden Worten zurück: „Wir haben eingeschränkten Betrieb und vermeiden den Kontakt zu Patienten, wenn nicht zwingend notwendig. Ich sage Ihnen etwas, schicken Sie mir ein Foto von Ihrer Zunge und ich zeige es dem Herrn Doktor so rasch wie möglich.“ Am nächsten Morgen erhielt ich gegen 07:20 Uhr eine E-Mail vom Herrn Doktor höchstpersönlich, in der er mir mitteilte: „Das sind keine Bläschen, sondern leicht geschwollene Geschmackspapillen, höchstwahrscheinlich „überreizt“ vom „Drogencocktail“. Hören Sie damit auf!“

In diesem Moment war ich erleichtert und einfach nur dankbar. Dankbar, dass ich mit dieser Diagnose überleben würde. Und dankbar, dass es die Götter in Weiß gibt, auch wenn wir sie zurzeit nur selten zu Gesicht bekommen.