Es war einmal … und es war einmalig, das Frühjahr 2020. Mitte April duftet bereits aufgeblühter Flieder, Raps steht in voller Farbenpracht und die ersten Maikäfer sterben. Und, es blühen erstmals in einer besonderen Intensität Absurdität und Surrealismus.
Home-schooling, Home-jobbing, Home-shopping, Home-training … „Homo sapiens stay at home“, Distancing ist angesagt. Homo Sapiens Austriacus brav und folgsam, aber wie lange noch? Skurrile Situationen blühen und gedeihen. Ich entdecke, dass praxis-FERN und realitäts-FREMD Zuschreibungen sind, die in diesem Frühjahr 2020 lustigerweise an Fahrt aufnehmen und glücklicherweise an Unterhaltungswert zunehmen.
Die aktuellen ZIB1 Moderatoren haben ein neues Satzerl: „Abstand und Maske, so machen wir das weiter!“ Das führt zu einer Art Freiluft-Maskenball, den ich diese Woche auf der überfüllten Donauinsel erlebt habe. Bitte, jetzt keine Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Tragens von Masken unter freiem Himmel. Passt schon, wenn Menschen auf Nummer sicher gehen wollen. Absurd wird’s nur dann – und das betrifft nicht nur die Donauinsel – wenn nach der Demaskierung die möglicherweise kontaminierten Fetzerln, die uns alle schützen sollen, in der Botanik landen. Wen werden wir zum Aufsammeln dieses Sondermülls in der Natur einfliegen lassen?
Apropos einfliegen lassen. Gut, sie fliegen jetzt nicht, sie kommen ökologisch mit dem Zug, mit dem Sonderzug. Wie Sondermüll. Ja, es geht um hunderte rumänische Frauen, die unsere Alten und Kranken 24 Stunden rund um die Uhr die nächsten Wochen pflegen werden. Sicherheit und Abstand ist gewährleistet, behauptet eine kluge Frau. Wer? Na, Frau Minister Edtstadler: „Wir belegen den 6er-Liegewagen nur mit 4 Personen.“ „Frau Edtstadler, haben’S einen 6er-Liegewagen schon einmal von innen gesehen und sich da drinnen zu viert bewegt?“
Bewegung ist Leben! Der Spitzensport darf sich bereits schrittweise bewegen. Der Breitensport hingegen und damit viele, viele Vereine warten noch auf … Worauf eigentlich? Meine Mutter, eine fitte 75-Jährige darf Anfang Mai wieder Tennis spielen gehen. Der Vereinsobmann verkündet den Mitgliedern schriftlich erste Sicherheitsmaßnahmen: kein Seitenwechsel, kein Doppel, spielen nur mit dem eigenem Ball. Einzel-Match? Oder doch nur einzeln Tennisspielen mit der Ballwand, oder wie jetzt?
Außerdem ist meine Mutter Vorturnerin und Smovey-Coach in einem Turnverein. Okay, Indoor-Aktivitäten bleiben „bis auf Weiteres“ verboten. Die Telefone laufen mittlerweile heiß, denn Jung und Alt sehnen sich nach gemeinsamer Bewegung. Sie alle haben die letzten Wochen brav trainiert, den offiziellen Abstand im öffentlichen Leben von mindestens 1 Meter einzuhalten. Ist unserem Sportminister ein Komma-Fehler unterlaufen? Die aktuelle Abstandsvorgabe an Mutter’s Turnverein z.B. was Smovey- oder Walking-Angebote im Freien betrifft lautet: 10 Meter Abstand! Wenn meine Mutter in Korneuburg als Smovey-Coach an vorderster Front weggeht, ist sie in Bisamberg, bevor der letzte ihrer Smovey-Truppe sich überhaupt erst in Bewegung gesetzt hat. Smovey im Freien bleibt daher bis auf weiteres „eingefroren“. Dem Vereinskassier friert wahrscheinlich gerade das Gesicht ein.
Kürzlich bewege ich mich, ohne meine Smovey-Ringe, zu Fuß zwischen Waldrand und Weingärten. Da steht ein Auto, mit der Schnauze auf mich gerichtet, auf dem autobreiten Feldweg. Fahrer- und Beifahrertür stehen sperrangelweit offen. Risikogruppen-Frau pflückt blau-rosa „Brüderchen und Schwesterchen“, Risikogruppen-Mann steht hinterm Auto auf seinen Stock gestützt, weil neben dem Auto kein Platz zum Stehen ist. Bäume, Böschung, Geäst … Wie er mich erblickt, zwickt er sich humpelnd zur Beifahrertür, lässt sich auf den Sitz fallen und starrt ins Nichts. Ich bleibe mit munterem Gesicht und guter Laune, aber wortlos vor der Motorhaube stehen. Da fährt die alte Dame aus ihrer Bück-Haltung hoch und stammelt: „I tua uns nur a paar Bleameln pflücken.“ „Ja, Sie können von mir aus den ganzen Wald abholzen“, gebe ich lachend zurück. „Wieso stehen Sie dann da und schauen?“ „Weil ich nicht an Ihrem Auto vorbeikomme!“
Eine Stunde später parken sich zwei Autos in einer idyllischen Kellergasse ein. Zwei sich nicht unbekannte Ehepaare haben ein winziges zurzeit verwaistes Heurigenkeller-Lokal entdeckt, stellen an der geschützten sonnigen Hauswand einen Tisch und Bänke zusammen und packen den Picknick-Korb aus. Kein Mensch weit und breit. Nur ich hinter diesem Kellerhäuschen im dazugehörigen Weingarten auf einem Sessel in der Sonne zwischen den Rebstöcken. Ich staune nicht schlecht, als ich mein geheimes Plätzchen verlasse und mich nähere: vier erwachsene Menschen tragen ausnahmslos medizinische Handschuhe und korrekt platzierten Nasen-Mundschutz, die stilvollen Weingläser sind gefüllt und bereit zum beim Anstoßen. Ich kann es mir nicht verkneifen: „Na dann zum Wohl! Ob Ihnen der edle Tropfen durch die Maske schmecken wird?“ Da kommt es wie aus der Pistole geschossen hinter einer Maske hervor: „Wir trinken ja auch Filterkaffee!“
Jetzt fällt mir gerade Michael Niawarani´s Homo Idioticus ein. Nimmt er reale Gestalt an? Werden wir zu Witzfiguren mit dauerhaft schlechtem Gewissen und Rechtfertigungszwängen? Oder erblüht ein gewitzter Homo Surrealis, der sich auf witzige Weise gegen detailverliebte Normen äußert, die nicht nachvollziehbar sind.