Dies ist – ich sags lieber gleich und auf die Gefahr hin, des Schielens nach der „Nostalgiewelle“ verdächtigt zu werden, eine Geschichte der Wehmut. Sie schöpft aus dem Erinnerungsbrunnen scheinbar längst vergangener Zeiten und hadert im Sinne von „enttäuscht sein“ mit der Zukunft.
An einem frühen Nachmittag im August bestieg ich mit meiner FFP2 Maske auf der Nase und vor dem Mund den Flieger auf die Insel im Mittelmeer. Die Menschen hielten Abstand und die Stewardessen versuchten Gelassenheit und Normalität aufkommen zu lassen. Der Flieger war kaum voll und zwischen den Reihen waren viele Sitzplätze, vor allem jene neben Alleinreisenden, leer. Der Flug dauerte nur knapp zwei Stunden und wenn ich meine Augen schloss, war der alte längst stillgelegte Brunnen meiner Erinnerungen eine Quelle lebendiger Versorgungen.
Kurz nach der Landung zückte ich mein Handy und zeigte dem Flughafenpersonal meinen neuen QR Code (=Bar Code, QR steht übrigens für „schnelle Antwort“). Eine einfache, unbürokratische Maßnahme, die weder Zeit in Anspruch nahm, noch Menschen zu Trauben zusammentreffen ließ. Ich konnte jederzeit den Abstand zu anderen Passagieren halten und hatte nie das Gefühl auch nur eine der vielen bekannten Sicherheitsauflagen der letzten Monate zu verletzen. Anschließend holte ich mein Gepäck, den Schlüssel und die Dokumente für den Mietwagen. Und bereits kurz darauf verließ ich mit ruhigem Puls und langsamem Tempo die Parkgarage, um die Auffahrt am Weg in den Norden zu nehmen. Alles lief wie geschmiert und erstmals nach knapp 4,5 Stunden zog ich erleichtert und mit einem Gefühl der Freiheit die Maske vom Gesicht, legte sie beruhigt und feucht auf den Sitz neben mich, nahm zwei tiefe Atemzüge bei offenem Fenster und strahlte mit einem breiten Grinser aus der Windschutzscheibe vor mir.
Ich roch, ja fast würde ich sagen, sog die mediterrane, trockene Luft in mich auf. Sie umwehte meine Nase und der Duft der Orangen- und Zitronenbäume begleitete mich auf der Bundesstraße in den Norden. Alles wie früher, vielleicht weniger Verkehr, aber sonst ….. Im Norden angekommen, sperrte ich das Haus auf, öffnete alle Fenster, lüftete die Zimmer und genoss den Blick auf die blühenden Oleander und die Bougainvillea im Innenhof, auf die Palme, deren Blätter im Wind hin und her tanzten und das Meer, das rauschend die Wellen an Land trug. Ich war endlich angekommen und fühlte mich frei und erleichtert, ja für einen kurzen Moment war es wie immer.
So wie früher zog ich mir eine kurze Hose an, streifte ein T-Shirt über und verließ kurz darauf mit Sandalen an meinen Füssen das Haus. Mein Weg führte mich entlang der Strandpromenade zum Hafen, wo ich wie immer in den letzten Jahren ein Getränk zu mir nehmen würde. Vielleicht etwas später eine Kleinigkeit essen und dabei das herrliche Panorama, das mich umgab, mit all meiner Kraft in mich aufnehmen. Die Schiffe schaukelten ruhig im Hafen. Ab und zu würde ich vielleicht ein Knarren der alten Schiffsleisten vernehmen und mich dann zufrieden dem Rauschen der Wellen hingeben. Ich würde die Meeresbrise in meiner Nase spüren und mich erleichtert in meinem Sessel zurücklehnen. Geblendet von der Sonne würde ich wahrscheinlich versuchen, das Blau des Meeres in mich aufzusaugen und für immer abzuspeichern. So oder so ähnlich war es in den vergangenen Jahren ….
Nur dieses Jahr sollte es anders sein. Bereits am Strand begegneten mir Menschen mit einer Maske im Gesicht. Am Weg in den Hafen sah ich, dass viele Geschäfte, Restaurants und kleinere bis mittelgroße Hotels längst ihre Pforten geschlossen hatten. Ein Saisonende im August, obwohl die Saison erst Mitte Juni anlief? Ja, das gab es noch nie. Jene, die offen hielten, waren bemüht, so etwas wie Normalität aufkommen zu lassen, trotz der streng geahndeten Hygienevorschriften. Selbst das Rauchen im Freien war verboten und eine Strandbar ohne Maske zu betreten war schlicht und einfach unmöglich. Seit vielen Wochen herrschte Maskenpflicht im öffentlichen Raum und selbst der Postbote am Moped trug seine Maske unter dem Sturzhelm. Der Mann, der am späten Nachmittag die Liegestühle wegräumte, tat dies nie ohne Maske im Gesicht und Handschuhen an beiden Händen. Selbst bei 30 Grad im Schatten. Die Inselbewohner zeigten Größe, machten gute Miene zum bösen Spiel. Sie bedankten sich bei mir für das Kommen trotz der Krise und schenkten mir ein herzliches Lächeln hinter der Plastikmaske vor ihrem Gesicht. Irgendwie hatte ich das Gefühl als würden sie sich bedanken für das in sie gesetzte Vertrauen. Das Leben war ein sichtbar anderes geworden und viele Insulaner werden wahrscheinlich ihr Geschäft im nächsten Jahr nicht wieder öffnen können. „Liquidacion“ war da und dort bereits zu lesen.
Es stimmte mich traurig und mein Erinnerungsbrunnen war plötzlich trocken, einfach ausgetrocknet, nichts war mehr wie früher …..
Am Ende meiner Reise, bei meiner Ankunft in Wien, war mir als wäre die Zeit in Wien, in Österreich stillgestanden. Der alte, längst stillgelegte Brunnen meiner Erinnerungen war wieder ein Quell lebendiger Versorgung. Klar, ich war nicht lange fort gewesen, aber die Pandemie gab es ja auch nicht erst seit gestern. Ich hatte eine Fülle an Dokumenten auszufüllen mit der Hand und ohne Desinfektion, zumindest ohne Desinfektion der vor Ort gelagerten Kugelschreiber. Dankbar war ich nur für die geringe Anzahl der Mitreisenden, 10 Personen in einem Airbus A320. Wären wir mehr bei der Kontrolle beim Covid-19 Check Point gewesen, hätten wir den Baby Elefanten Abstand bei der Kontrolle und dem Ausfüllen der Dokumente mit Sicherheit nicht geschafft. Als ich anschließend einen PCR Test im Healthcare Center am Flughafen Wien absolvierte, durfte ich selbst und ständig ein weiteres Dokument ausfüllen. Dieser zusätzliche Fragebogen, mit ähnlich lautenden Fragen wie das kurz zuvor analog ausgefüllte Datenblatt, wurde von mir daraufhin lektoriert. Wie? Das werden Sie sich jetzt vielleicht fragen. Ja, auch ich war für kurze Zeit sprachlos, als der junge Chinese, welche Ironie des Schicksals, mich dazu aufforderte, beim Übertragen meiner Daten in den Computer mitzulesen, paradoxerweise an der Rückseite seines Computerbildschirms. Kein noch so kleiner Tipp-, Lese-, oder „Was weiß ich“-Fehler sollte ins System geklopft werden. Als ich nun wissen wollte, was mit diesen Daten zukünftig passiert, bekam ich die lapidare Antwort: „Fragen Sie den Datenschutzbeauftragen ihres Bundeslandes.“ Eine Telefonnummer oder gar einen Namen, eine Ansprechperson erhielt ich dafür allerdings nicht. Eh klar, Datenschutzgrundverordnung! Viva la burocracia en Austria.