Infiziert egal womit oder einfach nur desinformiert – Tag 55 der Corona Krise

Gestern, einen Tag vor dem Muttertag, bin ich mit dem Auto ins Wald1/4 gefahren und dabei staunte ich nicht schlecht. Immer wieder überholte ich Autos, deren Fahrer in einem ansonsten leeren Auto mit geschlossenen Fenstern eine Schutzmaske trugen.

Am liebsten hätte ich diese Fahrer gestoppt und gefragt: „Können Sie mir sagen, warum Sie eine Atemmaske im Auto, noch dazu alleine, tragen? Oder hat Sie die Pressekonferenz unserer Staatssekretärin aus der Bahn geworfen und Sie stellen sich nun zu Recht die Frage: „Wer sind diese Aerosole? Wo fliegen sie? Und wann kommen sie über die Klimaanlage ins Wageninnere um mich kleinen Wurm zu infizieren?“

Im zweiten Gedankengang musste ich dann aber über mich selbst lachen und an das Sprichwort „zu Tode gefürchtet ist auch gestorben“ denken. Über die menschliche Fähigkeit zur Selbsttäuschung und zur grotesken Risikowahrnehmung. Ein Virologe hat erst kürzlich gesagt: „Wir wissen, dass wir nichts wissen! Aber wir wissen auch, daß jede weitere Information zu Covid-19 unser Bild über den Virus vervollständigt und mit unter auch verändert.“

Natürlich sind solche Aussagen in Zeiten von Umweltzerstörung, Arbeitslosigkeit, Migration oder Terrorismus verstörend und nur wenig beruhigend. Aber je mehr wir uns fürchten, desto mehr beschränken wir uns in unseren Handlungsmöglichkeiten. Denn Angst macht eng und ideenarm, hemmt Kreativität und Möglichkeiten. Was macht also diese Angst mit uns? Fürchten wir uns zukünftig auch vor Freundlichkeit, Zuwendung und Offenheit? Schließen wir Kontakte in Zukunft aus?

Selbst erlebt vor rund einer Woche, als ich im Freundeskreis laut aussprach, was der Arzt nach einer Erstuntersuchung vermutete: „Verdacht auf EBV.“ EBV steht übrigens für das Epstein-Barr-Virus, ein Virus aus der Familie der Herpes Viren, dessen Durchseuchungsrate bei rund 98 % der Bevölkerung liegt. EBV wird über Körperflüssigkeiten übertragen, also über Sex und übers Küssen. Im Englischsprachigem Raum spricht man daher auch von der sogenannten „Kissing Disease“. Für EBV gibt es weder eine Behandlung noch eine Impfung, also durchaus Parallelen zu COVID-19 übertragbar durch Speichelkontakt.

Kurz darauf hieß es tatsächlich „der, also dieser EBV, ist ansteckend, bitte komm bis auf weiteres nicht in unsere Pilates Stunde“. Ja, klar ist er ansteckend, aber doch nur über den Austausch von Köperflüssigkeiten. Da ich aber mit der Pilates Trainerin weder schmusen noch Sexualverkehr haben wollte, verstand ich die ganze Aufregung nur bis zu einem gewissen Grad. Einzig und allein ihre Angst vor der Krankheit, vor dem Risiko einer Übertragung, kam offen zum Vorschein. Und obwohl wir einen Überfluss an Informationen haben, wird uns unter Corona bewusst, wie wenig wir eigentlich wissen und kontrollieren.

Ein befreundeter Arzt hat vor vielen Jahren einmal zu mir gesagt: „Wenn du Symptome richtig deutest, klinische Tests machst, um die Diagnose zu bestätigen, dann gibt es fast immer eine Therapie.“ Das war und ist nach wie vor Unfug. Ich habe gestern den EBV mittels klinischem Test und der Anmerkung „abgelaufene, latente Infektion“ bestätigt bekommen. Was ändert dieser Befund jetzt? Eigentlich nichts, denn eine Therapie gibt es nicht und eine Reaktivierung kann nicht ausgeschlossen werden. Wie also damit umgehen? Wie werden andere Freunde auf meinen EBV reagieren? Wie werden wir den Sommer, den Herbst mit Corona erleben? Mit einer Gefahr, für die es bis auf weiteres weder eine Tablette, noch eine Impfung gibt.

Werden wir diese Angst sanft zur Seite schieben? Genauso wie wir das Wissen von COPD Erkrankungen durch Umweltverschmutzung und Schadstoffbelastung zur Seite schieben? Werden wir Individuen entscheiden können, wer was braucht? Oder wird die Masse entscheiden, wer in welchen Krankheitscluster gesteckt wird und wer nicht? Wer an welchem Programm teilnehmen darf und wer nicht? Wer soziale Nähe und wer soziale Kälte erfahren wird?

Schaffen wir es, mit all den Viren irgendwann einmal auf Du und Du zu sein? Schaffen wir es sogar, nicht länger als notwendig in Schockstarre zu verfallen? Und ja vielleicht arbeitet unser Gehirn dann nicht mehr nur als Pausenfüller mit ausbremsendem Programmtitel „Denken zur Zeit nicht notwendig“. Schön fände ich persönlich, wenn wir uns schon jetzt Gedanken darüber machen, was wir aus dieser spannenden Corona Zeit lernen können und wie wir zukünftig mit Viren leben wollen. Denn lauschen wir all den wunderbaren Experten, dann gibt es noch rund 700.000 unentdeckte Viren, die in naher oder ferner Zukunft von Tieren auf Menschen übertragen werden können.

Ich für mich genieße auf alle Fälle die ersten Lockerungsmaßnahmen, die Face-to-Face Kommunikation, lachende Gesichter und freue mich auf einen spannenden Herbst mit einem bunten Strauß an CRIS Lesungen und Workshops.