Die berühmte Psychonanalytikerin Erika Freeman, die durch die weltweite Corona Pandemie Ihren Aufenthalt in Wien verlängern musste, sprach in einer Wiener Vorlesung vom 7. Dezember 2020 von Wunder und Liebe. Und davon, dass Wunder geschehen – man allerdings nie genau wissen kann wann.
Ja es gibt sie diese Situationen, die das Leben eines Menschen von jetzt auf gleich verändern und einem jeden Glauben an Wunder nehmen. Für Sie war es der Moment als die Schmerzen begannen und der Arzt im Krankenhaus ihr mitteilen musste: „In Ihrer Bauchspeicheldrüse sitzt ein inoperabler Tumor.“
Margit, eine wunderbare liebe Freundin, ist im Jänner 2021 viel zu früh gestorben. Geboren 1962 in einer kleinen Stadt im nördlichen Waldviertel lernte Sie bereits in jungen Jahren mit der Diagnose „Zystenniere – ein genetisches Defizit“ umzugehen. Die Diagnose kam für Sie wenig überraschend, da all Ihre Geschwister, mit Ausnahme eines Bruders unter derselben Krankheit litten. Und obwohl Sie bereits als Kind erfuhr, dass Ihre Niere ein schlechter Filter ist, kein Leben lang halten würde und eine Heilung nur durch eine Nierentransplantation möglich sei, nahm Sie diese Herausforderung zeitlebens mit einer gewissen, Ihr innenwohnenden Gelassenheit, an.
Sie schenkte in jungen Jahren einer gesunden Tochter das Leben, um nur wenige Monate später festzustellen, dass sie dieses Mädel alleine würde groß ziehen. Da Sie für den Vater des Kindes eine Haftung unterschrieben hatte, blieben Ihr von dieser kurzen aufregenden Zeit, neben der gemeinsamen Tochter, auch noch die „gemeinsamen“ Schulden.
Gemeinsam mit Ihrer kleinen Tochter bestritt Sie von nun an Ihr Leben getreu dem Motto: „Das Leben kann uns umhauen, aber wir können entscheiden, ob wir wieder aufstehen.“
Sie machte Karriere in einem Versicherungskonzern und „entwaffnete“ in einem Telefonat mit Ihrem herzerfrischenden Lachen den Versuch von Gernot Kulis sich von der Wiener Städtischen Stehtische zu mieten. Über sich selbst zu lachen und sich und anderen Fehlern zuzugestehen, machte wohl einen Großteil Ihrer Gelassenheit aus.
Vor rund zehn Jahren lernte Sie Günther, Ihren geliebten Lebensmenschen bei einer gemeinsamen Veranstaltung kennen. Für die Beiden begann eine Zeit des Kennenlernens, der Verliebtheit und der tiefen innigen Liebe. Ihre Leidenschaft für gutes Essen und Trinken, sowie die Liebe zur Natur gestalteten fortan Ihre gemeinsame Freizeit.
Vor rund vier Jahren war es dann tatsächlich soweit, auch sie musste zur Nierenersatztherapie sprich zur Dialyse. Dreimal wöchentlich saß sie geduldig fünf Stunden im Spital, dort wo ihrem Körper kontinuierlich Blut entnommen und über eine Membran gefiltert wurde. Am Ende dieses Prozesses wurde Ihr schließlich das gereinigte Blut zugeführt und Sie durfte – wahrscheinlich niemals ganz beschwerdefrei – wieder nach Hause gehen. Jede noch so kleine Nebenwirkung ertrug sie mit Geduld, Zuversicht und einer gesunden Portion Humor: „Ich bin krank genug, um „gesund“ und glücklich zu leben.“
Nach nur dreizehn Monaten Dialyse kam die freudige, so sehnlich erwartete Nachricht: „Es ist soweit, wir haben eine gesunde Niere für Sie, bitte kommen Sie zum vereinbarten OP Termin.“ Alles lief, wie am Schnürchen die neue Niere passte perfekt und wurde von Ihrem Körper angenommen. Bereits wenige Tage nach der Operation fühlte Sie sich unwahrscheinlich vital und zeigte sich unendlich dankbar: „Jetzt geht´s bergauf, endlich können wir wieder ganz so leben, wie wir wollen.“ Und obwohl die neue Niere perfekt passte und Sie bereits nach zehn Tagen das Spital verlassen durfte, begann Ihre alte im Körper verbliebene Niere nach nur sechs Monaten zu rebellieren.
Nach der neuerlichen Diagnose die klare Entscheidung der Ärzte: „Die alte Niere muss raus.“ Ihre anfängliche Enttäuschung schlug nur wenige Stunden später in Mut und Tatkraft um und fußte in Aussagen, wie: „Wie viele Nieren braucht man, um eine Niere zu wechseln? Na genau zwei, die Alte und die Neue und die Alte muss jetzt einfach raus.“
Und obwohl die zweite Operation, um ein vielfaches schwieriger, aufwändiger und mit Sicherheit auch schmerzhafter war, fokussierte Sie auch jetzt Ihre Gedanken auf jene Dinge im Leben die für Sie in Wahrheit zählten: die Familie, die Liebe und die Gesundheit. Im Spätherbst 2019 nahm Sie Günthers Antrag überglücklich an. „Irgendwann“ so erzählten Sie mir, „irgendwann im Frühjahr oder Sommer 2020 werden wir heiraten und wir hoffen Du bist eine unserer Trauzeuginnen.“ Um es kurz zu machen, ich wollte und freute mich riesig für die Beiden.
Doch es sollte anders kommen, anders als geplant. Als im Mai 2020 die Schmerzen im Bauchraum zurückkehrten fuhr Sie wieder in die Klinik. Nur dieses Mal alleine, so wie es die Corona Verordnung von Ihr und vielen anderen Patienten verlangte. Nach nur fünf Untersuchungstagen mit Blutabnahme, MR, Röntgen und vielen einsamen Stunden im Krankenbett erhielt Sie schließlich die niederschmetternde Diagnose „Bauchspeicheldrüsenkrebs – inoperabel“.
Innerhalb nur weniger Tage hatte sich ihr Leben abermals verändert, dieses Mal entscheidend und unaufschiebbar. Urplötzlich stand die Frage einer Palliativtherapie im Raum. Keiner der Ärzte sprach mehr von einer Behandlung, von einer Behandlung, die wie so oft auf Heilung aus ist. Vielmehr sprachen sie über die Linderung, über die Linderung von Symptomen und wie sie versuchen würden Ihre Lebensqualität zu verbessern.
Heute weiß ich, selbst in diesem einzigartigen Moment der traurigen, ja tödlichen Wahrheit, der vielen Tränen und Gespräche mit Ihren Liebsten, hat Sie sich nie zur Gänze aufgegeben. Sie hatte beschlossen weiterzukämpfen für sich, für Ihre Tochter, für die Enkelkinder und die Liebe Ihres Lebens. Und Sie hoffte, Sie hoffte auf ein kleines Wunder, auf ein Leben mit Krebs.
Die nächsten Monate verliefen zäh und Ihr Leben wurde auf den Kopf gestellt, durcheinandergewirbelt durch eine Vielzahl an Spitalsaufenthalten und fremdbestimmt durch die Schwäche, die Ihren Köper nach jeder Chemotherapie durchzog. Das Leben wurde zur Achterbahnfahrt mit vielen Tiefen und wenig Höhen.
Eine dieser wenigen Glücksmomente betraf die Frage: „Wie können wir trotz Corona und geschlossenen Standesämtern noch vor Weihnachten Hochzeit feiern?“ Wir, mein Mann und ich, überlegten keine Sekunde und boten Günther und Margit spontan unser Haus und die Organisation der Feierlichkeit an.
Nur drei Wochen später stand diese tiefe Liebe im Mittelpunkt einer unwahrscheinlich berührenden Zeremonie. Mitten in unserem Wohnzimmer stand Sie, diese starke Frau an der Seite von Günther und ein Strahlen überzog Ihr blasses Gesicht. Sie hatte es geschafft. Sie hat verstanden die Liebe in Ihren Mittelpunkt zu rücken und für diesen wunderbaren Tag machte Sie diese Liebe nicht nur glücklich, sondern auch stark. Es ging Ihr an Ihrem Hochzeitstag körperlich so gut, wie seit Wochen nicht mehr und wie es Ihr danach nie wieder gehen würde.
Nur vier Wochen später war sie tot. Sie wird uns fehlen, aber für immer ein leuchtendes Vorbild für Liebe, Humor und dem Glauben an Wunder sein.